Jörg Albrecht, Cornelia Funke, Jan Skudlarek: POOL: World Building POOL: Jörg Albrecht: Das unvollendete Unternehmen, eine Welt zu errichten

Das schwierige Verhältnis von World Building und Word Building: Wie lässt sich überhaupt eine GESCHLOSSENE Welt in einem Text errichten, in einer Zeit, in der sich einerseits die europäische Gesellschaft endlich öffnen müsste, um nicht an kultureller Stagnation und Überalterung zugrunde zu gehen, und in der andererseits die große Geschichte immer wieder als Lüge erkennbar wird – z.B. im Fall der CIA-Folterbegründungen – oder zumindest als nur eine Seite einer prismenhaften Wahrheit – z.B. die Enthüllung im Jahr 2009, daß Karl-Heinz Kurras, der Polizist, der Benno Ohnesorg anschoß, auch Stasi-IM war. Ganze Ideologiewolkenkratzer stürzen daraufhin ein.


Als Noch-nicht-ganz-Teenie war ich Jahre fasziniert von der Möglichkeit, sich eine ganze Welt einfach so auszudenken, also etwa 1992 oder 1993, als ich Herr der Ringe und andere Fantasyklötze las. Kommt mir Worldbuilding deshalb altmodisch vor? Weil ich an die großen WHM [White Heterosexual Men] wie Tolkien oder C.S. Lewis denke, die, auf ihren Lehrstühlen in Lehnstühlen sitzend, eine Welt erdachten, im Glauben, damit etwas zum Beitrag des menschlichen Seelenheils zu leisten? Oder ist es, weil sich jedes Worldbuilding in den vergangenen vierzehn Jahren irgendwann immer zum Fanatismus gewandelt hat, meist über eine mal längere, mal kürzere Phase der Neurosen und der Paranoia?


Vielleicht stimmt beides. Denn eine geschlossene Welt mit geschlossener Logik verlangt diese Gott-gleiche Perspektive, die in der Tat mit dem weißen Heteromann verknüpft ist, und die gerade in Zeiten von IS, Pegida und NSA nur noch anmaßend wirkt. Und stumpf. Dass jemand eine Welt überblicken könnte, glaubte eigentlich nur das 19. Jahrhundert. Und dass dieser Glaube sich im 20. Jahrhundert fortsetzte, führte zu den Katastrophen, von denen wir wissen – und auch das nur, ohne sie erfassen zu können.


Das alles aber muß niemanden davon abhalten, eine Welt zu errichten – aber eben eine so widersprüchliche und diverse Welt, wie wir sie auch um uns herum finden. Deshalb will ich dafür plädieren, die Phantasien eben nicht außen vorzulassen; im Gegenteil: Aus nichts lässt sich doch mehr über die Lage einer real world ableiten als aus ihren Phantasien. Die Fiktionen sind ja schon überall, und gleichzeitig ist die Realität immer weiter als die Fiktionen. Die Verschiebung ins Fiktionale bedeutet also, der Realität in besten Fall nur ein paar Schritte voraus zu sein, oder einfach NUR das zu beschreiben, was irgendwo auf dem globalisierten Globus schon passiert/passiert ist. Und das ist so wenig für die Literatur ja nicht.


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