Interview von Robinson Rönnfeld

Zum Auftakt der großen BELLA triste #73: Texte für, mit, über und gegen Musik haben wir uns mit Roman von TEMMIS getroffen, um über den Schreibprozess seines Songs Morgensonne fang mich auf zu reden.
Den Song jetzt hier hören: https://www.youtube.com/watch?v=610j_B_iwLU
Roman ist der Sänger und Songwriter der Band TEMMIS. Zuletzt veröffentlichten die Boys die Tageslicht fall auf mich EP im September 2024, darauf ist auch der Closer Morgensonne fang mich auf. Seit diesem Sommer hat sich bei Roman viel verändert. Darüber, sowie über seine neu gefundene Liebe zu Bossa Nova und Widerstandsmusik, seine Frustration über die Reaktionen zu seinem Song Superhot und seine Gefühle zu alten TEMMIS-Songs, sprechen wir heute.
Roman und ich [Robinson] waren gerade Fisch essen, jetzt sitzen wir draußen vor dem Café Geyer. Wir sind in Hamburg, es ist der 21.10.2025, 17.22 Uhr, 14 Grad und ziemlich windig (Hamburger Spätsommer). Wir reden schon ungefähr zwanzig Minuten, bis mir auffällt, dass ich unser Gespräch auch aufnehmen sollte.
So, jetzt. Wir haben hier Roman von der Band TEMMIS.
Als ich dich angeschrieben habe und meinte, dass ich mit dir über Morgensonne fang mich auf reden möchte, hast du gesagt, dass du denkst, dass das einer deiner besten Songs ist.
Ich denke das auch, aber wieso glaubst du das?
So ein Superlativ zu formulieren, ist gefährlich, aber es ist schon einer der besseren, würde ich sagen. Zumindest einer, der gerade in meinem internen Ranking ganz gut dasteht.
Ich schäme mich eigentlich für alle meine Songs ein bisschen, für den schäme ich mich nicht so viel.
Ich schreibe haufenweise Songs und bringe halt nur so ein Prozent davon raus. Und für die vielen Songs, die ich nicht rausbringe, schäme ich mich noch viel mehr. Doch für Morgensonne eigentlich nicht, weil der auf eine Art von mir als Person losgekoppelt ist. Der kann auch einfach so existieren, ohne dass ich da meinen biografischen Senf dazu gebe.
Bei vielen deiner älteren Songs geht es ja auch oft um das Ich und was das Ich gerade so fühlt. Ich habe das Gefühl, dass du dir in deinem Schreiben immer mehr „poetische Freiheit“ nimmst. Klingt pretentious, meine ich aber so.
Es ist weniger Storytelling aus meinem Leben, wie in vielen meiner früheren Songs. Die waren so: hier ist eine Geschichte aus meinem Leben. Und dieser Song [Morgensonne fang mich auf] war eher so: ich erlebe das gerade, aber womöglich erleben das ganz viele Leute und vielleicht kann man da so ein generelleres Phänomen herausziehen, weil es ja auch viel um die Sonne und die Nacht geht. Das sind Naturgegebenheiten.
Ich denke sehr oft darüber nach – über Volksongs oder Lieder, die vor 1900 entstanden sind, die es heute immer noch gibt, sowas wie Heute soll es regnen, stürmen oder schneien.
Die Natur ist beständig, sie geht ja nicht weg, anders als Modephänomene wie NNDW oder sowas, das ist ein bisschen zeitloser. Wenn ich einen Song über die Morgensonne schreibe, dann kann man den vielleicht auch noch in 50 Jahren hören und der hat immer noch seine Gültigkeit, anders als ein Song wie Verloren wie ich über eine WG-Party oder so.
Bei Morgensonne kommen ja dann auch diese Bossa-Nova-Influences rein mit der Akustikgitarre.
Für die Akustikgitarre schäme ich mich.
Wirklich?
Ja, ich weiß nicht warum. Weil der Song war fertig und die Akustikgitarre war nicht drin. Und das Einzige, was wir noch gemacht haben, da war Alex bei mir und wir waren so, ja, ist jetzt fertig. Nee, lass da den Beat rausmachen und nur Akustikgitarre. Ja! Und niemand hat was dagegen gesagt und dann ist er rausgekommen und schon zwei Wochen später dachte ich mir so, nee, das hättest du nicht machen sollen. Das ist keine gute Idee gewesen.
Ich fand das total cute.
Okay, immerhin, ja. Danke, das gibt mir jetzt ein besseres Gefühl.
Zurück zu dem nicht kontextgebundenen Inhalt? Denkst du viel an die Zeitlosigkeit, während du schreibst?
Ich denke nicht so viel, wenn ich schreibe. Im Nachhinein immer sehr viel. Und ich versuche mir das eigentlich auch abzugewöhnen, weil man sich dann ja selbst fertig macht. Also eigentlich ist es schon auch ein biografischer Song. Das Gefühl, das der Song vermittelt, ist immer biografisch. Wenn man Emotionen verpackt, dann muss man sie auch gefühlt haben. Oder man muss wissen, worüber man redet.
Aber der Text ist nicht unbedingt biografisch und „Ich“-gebunden. Die Formulierung ist eher ein bisschen genereller. Es geht mir ein bisschen mehr darum, was für eine Geste ich aufmache. Weil viel von diesem emo-igen Gehabe, was so herumschwirrt, ist dieses Beichten fast schon. Das liest sich wie Therapie und davon wollte ich wegkommen.
Eine Zeit lang hatte ich das Bedürfnis, das auch zu machen und allen Leuten offenzulegen, wie emotionally troubled ich bin. Aber inzwischen denke ich mir so, es geht nicht mehr um mich. Das hängt schon sehr zusammen, gerade textlich. Die Love-EP endet ja mit dem Satz „die Sonne scheint und ich erfriere“. Und die Tageslicht-EP endet mit dem Satz „Morgensonne fang mich auf“.
Wo und wann hast du den Text für Morgensonne geschrieben?
Das war hier in Hamburg. Ich glaube, es war Anfang 2024 nach meiner ersten Tour. Da ist dann so ein bisschen Pause. Und da war ich noch in so einer Lebensphase, sag ich mal, wo ich sehr wenig geschlafen habe oder sehr oft durchgemacht habe. Inzwischen mache ich das zum Glück nicht mehr.
Da habe ich eine Nacht durchgemacht und bin dann morgens spazieren gegangen – in der Morgensonne. Und dann habe ich einen Song gehört, der heißt We Sink von CHVRCHES. Und da gibt es so einen Bass, der macht dumdumdumdumdum. Und ich dachte mir, das ist die musikalische Inspiration. Dann kamen mir beim Laufen die Lyrics dazu, ich habe die auch gar nicht aufgeschrieben, die sind irgendwie so hängen geblieben. Dann habe ich den da eigentlich direkt recorded. Und so ist der eigentlich auch geblieben, wie ich den da gemacht habe.
Was ist da der Cringe-Faktor, wenn du dir das jetzt anhörst? Ist es einfach nur, dass du älter geworden bist?
Ich würde auch bestimmte kreative Entscheidungen nicht mehr so treffen.
Als die Love-EP herauskam, habe ich auch so einen kleinen Text darüber geschrieben. Und da ging es um meinen damaligen Liebeskummer und irgendwie hat mir damals tatsächlich diese EP sehr geholfen. Wie fühlst du dich damit, dass so Leute mit deinen Worten ihre komplett eigenen Gefühle und Kontexte neu fühlen und denken?
Es freut mich sehr, dass es dich berührt hat. Ich finde das schön.
Das passiert ja auch sehr oft bei Konzerten oder so. Ich habe letzte Woche in Essen gespielt und bevor wir aufgetreten sind, sind wir ein bisschen auf dem Festival rumgelungert. Dann kam so ein Junge zu mir und meinte, was er alles verbindet und sowas und dass ihm das geholfen hat. Was soll ich da noch sagen? Dann bin ich so, boah, das freut mich.
Ich kann einfach nur so ganz ehrlich sagen, das ist alles, worum es geht.
Ein bisschen gruselig ist es dann manchmal, vor allem auf der ersten Tour, die wir gespielt haben, dass so unfassbar viele Leute zu mir gekommen sind und gesagt haben, ich wollte mich umbringen und ich habe es nicht gemacht wegen dir. Und das hat mir das Gefühl gegeben, dass ich da irgendwie eine zu große Verantwortung habe. Das hat mich dann auch krass gelähmt beim Schreiben, weil ich das Gefühl hatte, Leute machen ihr Leben abhängig von meinen Worten. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Dann habe ich aber irgendwann verstanden, die kennen mich ja nicht. Die machen sich ja irgendwie so eine Idee von mir und dann reden sie mit mir, aber sehen in mir eigentlich eine ganz andere Person. Das hilft mir, Distanz dazu zu gewinnen. Ich kann das nicht an mich ranlassen, weil ansonsten würde ich, jedes Mal, wenn ich ein Wort schreibe, das Gefühl haben, dass mir 10 000 Leute über die Schulter gucken. Das Gefühl hatte ich lange und es hat mich gelähmt. Ich glaube, ich habe inzwischen so eine gewisse Distanz dazu, was ich mache und was dann Leute für sich daraus nehmen.
Hast du das Gefühl, dass du in Musik oft nach Katharsis suchst? Vor allem bei Dunkle Wolken zum Beispiel.
Das ist schon so einer der durch und durch negativsten Songs, den ich jemals geschrieben habe. Da ist diese eine Zeile drin, „mir geht es gut und wie geht es dir“. Das ist sehr zynisch gemeint. Ansonsten ist der ganze Text halt einfach so das Letzte. Ich kann mir den Song nicht anhören. Wir spielen ihn jetzt auch nicht mehr live.
Da habe ich die Katharsis in die negative Richtung gesucht. Ich wollte, dass das der letzte Song vorerst ist, den ich mit dieser Attitüde schreibe und rausbringe. Und damit soll dann so ein Schlussstrich gesetzt werden.
Irgendwie hatte jeder eurer Songs für sich ein bisschen den Anspruch, in irgendetwas zu gipfeln.
Das finde ich manchmal auch anstrengend. Das mag ich an Bossa Nova zum Beispiel. Weil Bossa Nova ist halt einfach Girl From Ipanema, ist on the beach und so, ist am Chillen und wir singen da jetzt drei Minuten drüber. Und dann gehen wir zum nächsten Song. Was für Katharsis, wir sind am Chillen.
Ja, ich finde, Kunst muss auch gar nicht kathartisch sein. Gestern habe ich ein Essay von Enis Maci gelesen und da hat sie geschrieben, dass sie Apokalypsis genauso interessant findet wie Katharsis. Und Apokalypsis ist die Aufdeckung, nicht die Loslassung.
Aber auf jeden Fall habe ich zum Beispiel dann auch in Morgensonne mehr Apokalypsis als Katharsis gelesen. Eben auch, weil es für mich nicht ein Auskotzen ist, sondern eher ein Darstellen.
Ich habe mal so ein russisches Buch gelesen, Oblomow von Gonarchov. So einer der russischen Klassiker – und der ist unglaublich zäh. Oblomov ist der Hauptcharakter. Oblomow ist die ganze Zeit unfassbar langweilig und er ist unfassbar faul. Und er ist so faul, dass er sein ganzes Leben lang eigentlich nur auf der Couch sitzen und aus dem Fenster gucken will. Er sollte irgendwann eine Frau kriegen und dann hat er sogar eine Freundin und er fand die eigentlich ganz gut, aber er war dann doch zu faul, um sich auf diese Beziehung einzulassen. Und er war zu faul, um ein tüchtiges Geschäftsleben zu führen.
Und das geht halt irgendwie über 800 Seiten so und du liest es über Wochen hinweg. Und diese Faulheit irgendwie, die greift dich so an und es ist überhaupt nicht kathartisch. Der Roman hat, finde ich, nicht so wirklich einen Höhepunkt. Es hat natürlich kleine Dynamiken und sowas. Und die Geschichte faded am Ende so aus. Die Zeitsprünge werden immer länger. Und irgendwann stirbt er. Sorry für den Spoiler. Aber irgendwann stirbt er halt und er war bis an sein Lebensende faul. Er hat ein paar Mal zwischendurch versucht, das zu ändern, aber er hat es nicht wirklich gemacht. Und ich war froh, als ich mit dem Buch fertig war und es beiseite legen konnte, aber es begleitet mich seitdem.
Ja, das ist spannend.
Vielleicht ist es genau das.
Siehst du das Darstellen statt Katharsis auch in deinem Schreiben?
Das ist schwierig zu sagen, weil die Tageslicht-EP schon so lange her ist.
Ich glaube, was in Morgensonne ist und was auch meine Songs seitdem charakterisiert, ist, dass es weniger um Liebe und den großen Schmerz in einem Moment geht, sondern eher um Dinge, die eigentlich jeden Tag da sind. Auf die mal drauf zu zeigen, die sichtbar zu machen. In deinen Worten: die aufzudecken. Ich finde, das ist irgendwie eine erwachsene Sicht auf Sachen, weil als junger Mensch erlebst du vieles zum ersten Mal in der Intensität. Zum Beispiel deinen ersten Heartbreak mit 16 oder deine erste heftige Depressionsphase oder keine Ahnung, existenzielle Krise oder was weiß ich was mit Anfang 20.
Und dann irgendwann bist du halt schon durch alle Geschichten durch und darum geht es ja auch so, „jeden Kuss schon gehabt, jede Krise überlebt und noch immer hier stehen“. Wenn du das alles durch hast, dann siehst du es eigentlich nur noch als, es ist jetzt mal wieder so eine Phase und es ist wieder dieses Gefühl.
Es geht darum, das Leben eher als ein Zusammenspiel von Prinzipien, die wiederkehren, zu verstehen und so auch zu schreiben.
Ich weiß nicht, wie das für dich war, aber ich habe erst vor so zwei, drei Jahren angefangen, wirklich Spaß am Prozess zu haben.
Ja. Ich habe den Spaß irgendwann verloren, zwischendurch, als das so real wurde mit der Bandkarriere. Da hab ich dann sehr viel Druck empfunden, damit das jetzt klappt, dass ich wirklich diese Person werde, die ich mir mal ausgemalt hab, dass ich jetzt jeden Schritt richtig mache. Da war Songschreiben kein Spaß mehr, sondern so ein Krampf irgendwie und so ständig mit Bewertungen und Leistungsdruck verbunden. Und inzwischen ist es wieder weg. Inzwischen hab ich mich einfach ausgearbeitet.
Hast du Spaß?
Das ist das einzige, was mir Spaß macht. Hier in Hamburg habe ich angefangen, so ein bisschen meine Solo-Songs zu singen, die in die Liedermacher-Richtung gehen. Und da schreibe ich jede Woche ein, zwei Songs.
Und ich singe die jeden Tag, das ist wie duschen. Und danach fühle ich mich irgendwie besser. Weil ich mich, glaube ich, selbst darin bestätige, dass ich das mache, was ich gerne mache. Und wenn ich dann jetzt einen Song geschrieben habe, dann bin ich so... ich kann's noch. I'm still at it.
Wollen wir eigentlich reingehen? Es wird ein bisschen kalt.
Ja, gerne.
[Ortswechsel zur Kneipe Doppelschicht]
Wir fragen alle unsere Interview-Gäste, was ihre Lieblingszeile of all time ist.
Konntest du dich entscheiden?
Es ist ja auch total superficial, deinen Geschmack festzulegen, weil er sich ja wandelt. Vor vier Jahren hätte ich noch eine andere Antwort gegeben. Deswegen nehme ich mal was, was ich jetzt gerade sehr geil finde, wo ich sehr viel dran denke.
Und zwar, kennst du Wolf Biermann?
Erzähl mal…
Das ist ein Liedermacher, der in den 30ern in Hamburg geboren wurde. Seine Eltern waren überzeugte Kommunisten und in den 50ern ist er in die DDR übergesiedelt. Da hat er dann angefangen, Lieder zu singen und so, war dann aber sehr desillusioniert von der Form des Kommunismus, die er da angetroffen hat. Dann ist er zum Systemkritiker in der DDR geworden. Und sie haben ihm natürlich verboten, dort Musik zu veröffentlichen. Und er hat dann trotzdem Musik veröffentlicht. Er hat dann ein Album gemacht, das heißt so wie seine damalige Adresse. Er hat da das Fenster aufgemacht, damit der Straßenlärm reinkommt. Also für die Spitzel, damit die nicht so genau hören, was er da macht. Und hat dann mit seinem Home-Recording-Setup so ein Album aufgenommen. Und das hat so Ambient-Geräusche aus den 60er Jahren, Ost-Berlin. Durch das Album bin ich ein riesiger Fan von ihm geworden. Und dann hat er irgendwann eine Tour durch Westdeutschland gemacht, weil er in Ostdeutschland nicht mehr auftreten durfte. Dann hat die DDR ihm die Einreise verweigert. Ich glaube, das war 76. Er wurde dann ausgebürgert und das war halt ein riesiges Politikum. Leute sagen manchmal, das war der Beginn des Zerfalls und sowas. Also politisch sehr wichtig, dieser Typ. Und er hat ein Lied, das heißt Ermutigung. Das ist von 73 glaube ich. Und da singt er so die Zeile: „Du lass dich nicht erschrecken, in dieser Schreckenszeit.“
Und das ganze Lied ist geil, aber diese Zeile vor allem. Ich glaube, das ist meine Lieblingszeile. Und es geht weiter mit „du lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das wollen sie doch bezwecken, dass wir die Waffen strecken, noch vor dem großen Streit“.
Krank!
Ja, man. Hör dir das mal an.
Und siehst du in dieser Zeile mehr Zynismus oder Hoffnung?
Ja beides.
Total.
Absolut beides. Es ist schon Zynismus, es ist Kritik. Aber in der Kritik liegt eine Hoffnung auf etwas Positives. So wie zur gleichen Zeit auch Friedensbewegungs-Musik von den Ton Steine Scherben. Der Traum ist aus. Da singt er über so eine Utopie „ich werde alles geben, dass der Traum Wirklichkeit wird“. Indem er seine Utopie beschreibt, stellt er total deutlich raus, dass die Utopie im Moment noch sehr weit entfernt ist und wie scheiße das Leben gerade eigentlich ist. Also es ist gleichzeitig zynisch und hoffnungsvoll.
Magst du das gern? Was interessiert dich gerade so an Widerstandsmusik?
Gerade das, dass es nicht mehr nur um deine eigenen Bewegungen geht, sondern um etwas Größeres. Die größere Gültigkeit der Aussage. Aber auch, ich weiß nicht, ich sympathisiere eigentlich meistens mit Widerstandsbewegungen. Nicht immer explizit politisch, aber in ihrem Geist.
Ich glaube, das ist einfach so eine urlinke Position. Und ich finde, die Kultur, die da herauskommt, ist wesentlich geiler und energetischer als Kultur, die von einer zufriedenen Gesellschaft ausgeht. Also immer, wenn es ein Problem gibt, was benannt werden kann, dann wird es interessant, finde ich.
Und deswegen finde ich Wolf Biermann geil, oder halt Punk, oder zum Beispiel, es gibt diese Band 1000 Robota, die ist aus Hamburg gewesen. Hamburg brennt. Und am Anfang von Hamburg brennt, da sind so Sirenen.
Und neulich gab es hier auch so einen Sirenenalarm. Diese Sirene, ich glaube sogar genau die, die ich da gehört habe, die kommt auch in dem Lied ganz am Anfang. Und dann singt er so: „Hamburg brennt, Hamburg brennt“.
Ja, das hat so einen Überlebensdrang.
Ja, voll. Vielleicht ist das auch, ja, diese Energie dahinter.
Mich würde es nicht wundern, wenn in den nächsten zwei Jahren sehr viel politische Musik rauskommt.
Also zum Beispiel dieses Konzert, was ich letzte Woche hatte, das war in Essen, das Zinnober. Also es war sehr Counter-Culture-lastig und da hat zum Beispiel auch Grenzkontrolle gespielt. Die finde ich super.
Und die sind ja sehr politisch, explizit politisch. Und klar, die haben irgendwo bestimmt auch einen kommerziellen Anspruch, das merkt man daran, wie viel Mühe sie sich geben mit Social Media. Die ganze Aufmachung davon ist nicht nur Abfuck, es soll auch schön sein, aber es ist so erfrischend, das zu sehen, weswegen die auch so schnell eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, weil es einfach erfrischend ist, dass da jemand ist, der sich nicht nur mit Liebe und sowas befasst.
Ja. Ja, du scheinst sehr genervt zu sein von der ganzen Teenie-Love.
Ich habe das Gefühl, als wir alle angefangen haben mit diesem Zeug, so vor Corona, war Musik so positiv. Der Querschnitt der Popkultur hat einem das Bild von einer rundum guten Welt vermittelt, was für mich nicht mehr so wirklich realitätsgetreu war, weil eigentlich die meisten Leute in meinem Umfeld eher unter den Bedingungen gelitten haben, die gerade so existierten. Und da hatte ich das Gefühl, eine implizite politische Dimension liegt da schon vor, indem man einfach Musik macht, die alles schwarz malt.
In einer Zeit, in der Leute sagen, das ist der größte Wohlstand, den die Menschheit je hatte und uns geht es allen gut, dann darüber zu singen, wie scheiße das Leben ist, auch wenn es nur scheiße im Kleinen ist, hat schon die Aussage, hey, fickt euch, ihr habt überhaupt nicht recht. Aber inzwischen reicht das nicht mehr aus, weil es darüber hinausgeht, weil vor allem auch seit der Pandemie so viel passiert ist, was uns viel mehr am Kragen rückt. Es ist also nicht mehr nur so, dass wir so Mental Health Probleme haben, die eigentlich fast jeden betreffen, durch den Vorzug des Internets und sowas, sondern auch einfach ganz reale Bedrohungen wie Krieg oder wirtschaftliche Probleme.
Und deswegen entwickle ich mich vielleicht auch mehr davon weg. Es reicht nicht mehr zu sagen, mir geht es schlecht, man muss auch sagen, ihr seid schuld. Das ist vielleicht auch der Zeit geschuldet. Bist du nicht genervt von der Substanzlosigkeit?
Doch, aber auch off the record, es ist auf jeden Fall auch so, natürlich, ich habe keinen Bock mehr, diese Texte zu lesen, von denen wir auch vorhin geredet haben. Aber ich habe auch gemerkt, ganz viel ist auch davon, dass ich mich einfach neu verliebt habe und glücklich bin.
Ja, ich bin auch seit fast 2,5 Jahren in einer ziemlich glücklichen Beziehung. Vielleicht ist es das. Aber ich muss sagen, diese positiven Songs auf Tageslicht-EP, die habe ich halt wirklich geschrieben, als ich eigentlich an meinem Tiefpunkt war. Und jetzt die Musik... wenn wir mal wieder etwas releasen, dann wäre es politischer und direkter.
Also ich habe auch ein paar Befindlichkeits-Songs wieder gemacht, so wie immer. Aber da habe ich nicht so große Lust, die zu releasen. Wir haben jetzt auch zwei, drei neue Songs gespielt bei diesem Festival.
Bei dem einen geht es um Wehrpflicht, bei dem anderen geht es um den Wohnungsmarkt und dass es zu teuer ist und sowas. Also sehr explizit halt. Und ich war so hyped! Das hat so Bock gemacht, die zu spielen.
Und dann am Ende vom Set kamen die ganzen Songs wieder... Wenn du da bist. Arterien. Und ICE 579 – der Gipfel von alldem. Und da war ich dann halt so: Okay, spielen wir jetzt noch zu Ende. Aber der Anfang des Songs, das Set hat mir so Bock gemacht, dass ich jetzt so richtig merke, ich habe Bock, die wieder rauszubringen.
Und ich habe auch Bock, dass Leute da eine kontroverse Meinung dazu haben.
Wie sind die neuen Songs angekommen? Hast du da schon was gespürt?
Ja, ich glaube, die sind gut angekommen.
Den neuen Song habe ich schon vor zwei Jahren geschrieben und die ersten Lines sind: Meine Wohnung ist zu teuer, die Fenster sind nicht dicht, ich glaube, ich schaffe meinen Abschluss, meinen Abschluss nicht. Und nach den vier Lines war ganz hinten so ein Typ so: JAA! Ich glaube, den hat es so erreicht.
Und das fand ich schon so geil, dass ein Typ da genau weiß, wovon ich rede. Deswegen, ja, ich glaube, die Reaktion war gut.
Das ist total lustig.
Ich finde es auch gut, dass Leute wie ihr dann auch in diese direktere und politische Richtung gehen.
Sind wir ja noch nicht, oder?
Ich finde, Superhot war so ein bisschen so ein Rantasten daran, actual Problematiken anzusprechen.
Und wie fandest du, ist der angekommen?
Sehr seltsam.
Finde ich auch.
Die Kommentare waren sehr weird, vor allem auf YouTube zum Beispiel.
Ja, also, ich meine, ich habe mich nicht getraut, all the way zu gehen, in mancherlei Hinsicht. Aber es war für mich so ein Rantasten. Und ich habe auch mit so einer neuen Ästhetik gespielt, die so ein bisschen so von The Hellp inspiriert war und sowas, was irgendwie auch nur so eine Phase war. Aber ich glaube, dadurch ist bei vielen Leuten nicht so richtig angekommen, wie das gemeint ist. Ich glaube, viele Leute waren so: „Ich fühle mich jetzt superhot.“ Empowerment… Brat Summer…. So war der Song ja gar nicht gemeint.
Eigentlich war das der zynischste Song. Ja. Aber deswegen bin ich damit auch halbwegs unzufrieden.
Hast du daraus was gelernt?
Ich habe gelernt, dass ich mich, auch wenn ich es in dem Moment nicht so richtig wahrgenommen habe, dass ich mich immer noch ein bisschen verkauft habe. Ich wollte immer noch gefallen.
Ja, das ist ja funny, dass das bei dem Song passiert ist.
Ich hatte halt Angst. Ja, voll funny, oder? Aber passt dann auch irgendwie. Voll gut, so das ganze Konzept. Ja, man merkt ja in sich immer am meisten – die Widersprüche, die es so gibt. Die hat man in sich.
Wollen wir uns noch ein Bier holen?
Ja, gerne.
Ich bestell einfach nochmal zwei.
[Der Rest (Gossip, mega lustige Witze etc.) ist wirklich Off The Record, das müsst ihr euch jetzt selbst vorstellen.]
Danke, Roman, für das Interview.
Ich danke.
BELLA triste #73 erscheint am 05.12.